Breslau-Elf: Nur Hitler konnte sie stoppen

Udo Muras

Der Pfingstsonntag 1937 war die Geburtsstunde der deutschen Auswahl mit der besten Jahresbilanz, die es je gab. Von elf Spielen gewann die Mannschaft von Trainer Sepp Herberger zehn. Die Politik machte der Breslau-Elf aber einen Strich durch die Rechnung. Trotzdem ist sie ein Mythos.

Am letzten Januarabend des Jahres 1937 saß Sepp Herberger in einem Düsseldorfer Hotel und schrieb in sein Tagebuch: „Es ist mein unabänderlicher Wille, mit dem starren, exerziermäßig eingedrillten Spiel unserer Mannschaft zu brechen.“ Aus gutem Grund. Noch saß der Schock tief, den Deutschlands Fußballer ihren Anhängern bei den Olympischen Spielen von Berlin bereitet hatten – damals, im August 1936, als „der Führer“ beim 0:2 gegen Norwegen zum ersten und einzigen Mal ein Spiel gesehen und enttäuscht das Stadion verlassen hatte. Vorzeitig.

Schon dreieinhalb Monate später war der neue Reichstrainer Herberger am Ziel. Er führte die Nationalmannschaft auf den Gipfel ihres Könnens. Am Tag von Breslau, als Dänemark mit 8:0 überrannt wurde.

Ungeschlagen

Diese Elf blieb 1937 in elf Spielen ungeschlagen, gewann davon zehn. Vor dem Krieg hat Deutschland keine bessere Auswahl gehabt. Und keine ihrer Nachfolger hatte je eine glänzendere Jahresbilanz aufzuweisen als die „Breslau-Elf“.

Warum sie heute doch weitgehend vergessen ist? Sie hat nie etwas gewonnen, was fatal ist in einem Land mit drei Weltmeister- und Europameister-Mannschaften – und sie nahm ein jähes Ende.

Die Breslau-Elf unterlag einer Macht, mit der sich der Sport niemals messen kann – der Politik. Nur Hitler konnte sie stoppen. Drei Monate vor dem Start der WM 1938 holte der Diktator seine Heimat Österreich handstreichartig „heim ins Reich“ und Herberger wurde gezwungen, mit sechs Deutschen und fünf Österreichern, oder umgekehrt, zu spielen.

So platzte der WM-Traum.

Die „großdeutsche Elf“ scheiterte in Frankreich so früh wie sonst keine deutsche Mannschaft – in der ersten Runde, am ersten Gegner Schweiz.

Ein schöner Tag

Wie war das damals, am Pfingstsonntag 1937?

Seit vier Jahren schon sind die braunen Demagogen am Werk und verströmen ihr schleichendes Gift.

Am Vortag des Länderspiels geht in München der zweite Jahrestag der Forschungsabteilung „Judenfrage“ zu Ende, Wissenschaftler aller Couleur haben dort in drei Tagen „die unheilvolle Rolle des Judentums in eingehenden Vorträgen dargelegt“, liest man in der Zeitung. In Düsseldorf läuft die Ausstellung „Schaffendes Volk“, ein Politiker beklagt dort in einer Rede, die Deutschen seien „ein Volk ohne Raum“.
Auch und gerade der Sport wird benutzt. Die 40.000 Zuschauer, die in die Schlesier-Kampfbahn des renovierten Hermann-Göring-Sportfelds einlaufen, müssen durch ein Tor gehen. Über dem Eingang steht: „Deutsche Jugend werde einig treu stark und hart“.

Es ist ein schöner Tag, beinahe schon zu warm. Optimismus herrscht, seit drei Spielen gibt es immer nur deutsche Siege. Die „Berliner Morgenpost“ prophezeit ein 4:1, denn „Deutschland kann im Augenblick keine stärkere Ländermannschaft auf die Beine bringen“. Die Namen kennt nach dem Abpfiff jedes Kind: Hans Jakob im Tor; Paul Janes, Reinhold Münzenberg und Ludwig Goldbrunner in der Abwehr; das „magische Viereck“ mit den Schweinfurter Außenläufern Andreas Kupfer und Albin Kitzinger und den Schalker Halbstürmern Fritz Szepan und Rudi Gellesch; im Angriff Ernst Lehner, Otto Siffling und Adolf Urban.

Fünferpack von Siffling in 32 Minuten

Fünf Spieler kommen aus Bayern, fünf aus dem Westen und der Waldhöfer Siffling aus Herbergers Heimatklub. Kapitän Szepan ist mit 29 Jahren der Älteste. Doch so alt wie die Dänen kann er sich gar nicht fühlen. Es wird ein sehr einseitiges Spiel und doch ein Spektakel. Das Publikum ist hingerissen von nie gesehener deutscher Spielkunst. „Unsere Mannschaft spielte wie aus einem Guß, der Ball lief, dass es eine wahre Freude war“, jubelte der „Kicker“.

Nur Torwart Jakob, der lange Regensburger, langweilt sich entsetzlich, nach 15 Minuten berührt er erstmals den Ball – eine Rückgabe. Da steht es schon 1:0 durch Lehner. Es folgen fünf Tore hintereinander von Siffling in 32 Minuten, ein nie da gewesenes Ereignis. Nach dem 6:0 lassen es die Deutschen etwas lässiger angehen, schon eilt Herberger an den Spielfeldrand und macht ihnen Beine.
So kommen noch zwei Schalker zu Torehren. Urban markiert das 7:0 und dann bemühen sich alle, Kapitän Fritz Szepan zu bedienen. Mit Erfolg. „Als zwölf Minuten vor dem Ende Szepan sein Tor schießt, da bricht große Freude im Stadion aus, ein Tor des großen Regisseurs hat sich die Menge schon lange gewünscht“, schreibt die „Fußball-Woche“. Der Abpfiff sei den Dänen, so das Blatt, „wie der schrille Ton der Trompete, der zum jüngsten Gericht ruft“, vorgekommen. Das dänische „Extrabladet“ setzt seinen Bericht unter eine sechsspaltige Zeile mit dem Titel „Wie Deutschland Dänemark niedersäbelte“.

Furioses 5:0 über Schweden

So war das am Pfingstsonntag 1937. Die Resonanz war enorm. Gleich drei Deutsche wurden in die Westeuropa-Auswahl berufen, Jakob, Kitzinger und Lehner. In Berlin stürmten 60.000 Menschen an einem Mittwochabend, drei Tage nach Breslau, das Olympia-Stadion, um die stark veränderte Breslau-Elf gegen Englands Meister Manchester City 3:2 siegen zu sehen.

Doch wer auf dem Gipfel steht, kann nur noch bergab gehen. Das galt auch für die Breslauer, die noch vier Mal in dieser Formation spielten (bei höchstens einer Abweichung). Es folgten sechs Siege mit 18:3 Toren, darunter ein furioses 5:0 über Schweden. Dann kam der „Anschluss“. Kurz vor der WM wurde Herberger aufgetragen, in Berlin gegen England die Breslau-Elf aufzustellen, weil sonst Zuschauereinbußen befürchtet wurden. Doch sie fand nicht zu alter Stärke zurück und verlor mit 3:6. Ihren Mythos hat sie sich bewahrt.