Die Olympiade 1936 in Berlin und ihr Fußballturnier

Steffen Bode

Berlin 1936 – Fest der Völker?

Gerne fallen in dem Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von 1936 die plakativen Worte „Nazi-Olympiade“ oder „Spiele unterm Hakenkreuz“. Bis heute ist es schwierig, ein objektives oder sogar „gerechtes“ Bild der Spiele von Berlin zu zeichnen. Häufig drängt sich der politische Kontext in den Vordergrund, oft werden alle Aktionen, Symbole, Ereignisse, Reden und Gesten mit dem Wissen über Ideologie und Wirkung der nationalsozialistischen Propaganda verstanden. Eine eindimensionale Betrachtung der Veranstaltung wird dem Ereignis nicht gerecht. Vor allem, da die Spiele bereits 1931, also vor dem Machtantritt der Nazis, an Deutschland vergeben wurden. Diese „unnationale“ Feier rief bei den neuen Machthabern zuerst keine große Begeisterung hervor. Erst als man die weltpolitische Wirkung, sicherlich auch durch die Fußball Weltmeisterschaft 1934 in Italien, erkannte, benutzte man das Sportfest, um die eigentlichen Ideen und Pläne des Regimes zu verschleiern und die Gegner zu täuschen.1

Gerade in der Dokumentation von Leni Riefenstahl spiegelt sich die Ambivalenz der Betrachtung wieder. Das Machwerk galt unter Zeitgenossen als großartige filmische Leistung und wurde weltweit begeistert aufgenommen. Erst nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland, wurde der Film differenzierter bewertet, in Deutschland sogar verboten.2 Auch der in der Schlussfeier durch Flak-Scheinwerfer gebildete Lichterdom ist aus der heutigen Sicht eher eine verstörende Vorwegnahme der Zerstörungen, die das Regime nicht einmal zehn Jahre später über Deutschland bringen sollte.
Carl Diem und der „Halbjude“3 Theodor Lewald hatten das bisher größte olympische Fest organisiert. Mehr als 4.000 Athleten aus über 50 Ländern bot sich mit der Hauptstadt Berlin, dem Reichssportfeld und dem riesigen Olympiastadion – mit Platz für 100.000 Besucher, in Wirklichkeit waren es 88.000 – eine perfekte Bühne für ihren Sport. Das „Fest der Völker“ wurde auch von den Besuchern gut angenommen, da diese aus deutscher Sicht auch allen Grund zur Begeisterung hatten. Mit 38 Gold-, 31 Silber- und 32 Bronzemedaillen war die deutsche Mannschaft erfolgreichste Nation vor den Amerikanern. Dennoch war der Star der Spiele der farbige amerikanische Sprinter und Weitspringer Jesse Owens, der vier Titel gewann.

Im Sinne der olympischen Idee, aber hauptsächlich aus propagandistischem Kalkül, hatte man auf nationalsozialistische Symbolik weitestgehend verzichtet. Auch die Protagonisten des Systems hielten sich im Hintergrund.
Die Spiele von Berlin stellten in einigen Gebieten Meilensteine in der olympischen Geschichte dar. Hier begann nicht nur die politische Instrumentalisierung, die sicherlich in den 50er und 60er Jahren ihren Höhepunkt hatten, aber durchaus noch bis in die heutige Zeit nachwirkt. Auch der 1936 erstmals ausgetragene Fackellauf, mit der Entzündung des Feuers im antiken Olympia, gehört heute selbstverständlich in das Zeremoniell jeder Olympiade. Damals begann ebenso das Zeitalter des medialen und professionellen Hochleistungssports. Erstmals wurden Sportereignisse nicht nur per Radio übertragen, sondern konnten im Fernsehen, meist in öffentlichen Fernsehstuben, gesehen werden. Die Zuschauer konnten allein in der Leichtathletik 27 Olympische und 12 Weltrekorde bewundern.

Das olympische Fußballturnier

Die Organisation des Turniers oblag der FIFA und dem DFB bzw. dem Fachamt Fußball des DRL. Seitens der FIFA gab es eine Technische Kommission und Kampfgericht und ein Internationales Berufungsgericht. Verantwortlich beim DFB war die sogenannte Oberleitung.4

Der DFB lud im April 1936 die ausländischen Fachverbände, die Mitglieder der FIFA, ein.5 Als Austragungszeitraum wurde der 3. bis 15. August festgelegt. Es galten die international anerkannten Regeln der FIFA und die Bestimmungen zum Amateurbegriff des IOC. Damit würden Frankreich, Holland, Dänemark, Belgien und die Schweiz nicht teilnehmen. Viele außereuropäische Teams, vor allem die südamerikanischen, verzichteten, da der Pokalmodus ein Ausscheiden nach nur einem Spiel möglich machte. Es meldeten sich 18 Verbände. Da Portugal und Bulgarien zurückzogen, konnte auf eine Qualifikationsrunde verzichtet werden. Im Juli wurden die Paarungen bis zum Finale gelost. Sie lauteten:

Achtelfinale
A EGY - AUT
B POL - HUN
C ITA - USA
D SWE - JPN
E NOR - TUR
F GBR - CHN
G GER - LUX
H PER - FIN
Viertelfinale
aa H - A
bb D - C
cc E - G
dd F - B
Halbfinale
bb - cc
aa - dd

Gespielt wurde in vier Stadien in Berlin. Das Poststadion wurde am 28. und 29. Mai 1929 in der Nähe des Hauptbahnhofs eingeweiht und bot 35.000 Zuschauern Platz. Neben dem Stadion gab es weitere Fußball- und Tennisplätze, eine Schwimmhalle und ein Freibad. Bis zum Bau des Olympiastadions war das Poststadion die wichtigste Sportstätte Berlins. Neben den Spielen der Nationalmannschaft fanden auch die Endspiele um die deutsche Meisterschaft dort statt.6 Beide Spiele der deutschen Nationalmannschaft am 4. und 7. August fanden in diesem Stadion statt. Das Mommsenstadion wurde 1930 eröffnet und 1934 nach dem Althistoriker Theodor Mommsen benannt. Es fasste knapp 38.000 Zuschauer. Seit Kriegsende trägt dort Tennis Borussia Berlin seine Heimspiele aus.7 Ein heute nicht mehr existierender Austragungsort ist das Herthastadion oder Stadion am Gesundbrunnen, im Volksmund auch Pumpe genannt. Es wurde 1974 abgerissen. Damals konnten etwa 36.000 Zuschauer die Spiele verfolgen.8 Das größte Stadion war das Olympiastadion, in dem die Halbfinalspiele und das Finale stattfanden.

Italien gewann mit 1:0 knapp, aber verdient, gegen die USA. Norwegen gelang ein ungefährdeter 4:0-Sieg über die Türkei. Überraschend gewann Japan gegen Schweden mit 3:2. Polen siegte gegen Ungarn mit 3:0. Österreich besiegte Ägypten 3:1, Peru schlug Finnland 7:3 und Großbritannien schlug China mit 2:0. Am 4. August wurde um 17.30 Uhr das erste Spiel der deutschen Mannschaft gegen die Außenseiter aus Luxemburg vor 12.000 Zuschauern im Poststadion angepfiffen. Führten die Deutschen zur Halbzeit lediglich mit 1:0, pfiff der Schiedsrichter das Spiel am Ende mit 9:0 ab. Siffling wurde dabei geschont.

Im Viertelfinale gewann Italien gegen Japan mit 8:0. Polen schlug Großbritannien mit 5:4 und rettete dabei einen 5:1-Vorsprung über die Zeit. Österreich erreichte sein Halbfinale kampflos, da die Peruaner zum Wiederholungsspiel nicht antraten. Das Spiel wurde nötig, da peruanische Schlachtenbummler nach dem Ende der regulären Spielzeit das Feld stürmten und „Tumulte“ verursachten, nachdem die Österreicher einen verletzten Spieler zur Nachspielzeit wieder einsetzten. Auswechslungen, auch nach Verletzungen, waren damals noch nicht erlaubt.9 Deutschland verlor am 7. August im Poststadion vor etwa 55.000 Zuschauern mit 0:2 gegen Norwegen. Vor den Augen der nationalsozialistischen Führung wurde man verdient geschlagen. Auch Siffling, der sein erstes olympisches Spiel spielte, konnte die Niederlage nicht verhindern. Die Fußballfans am Volksempfänger traf die Nachricht völlig unvorbereitet. Das Land stand buchstäblich unter Schock und war sprachlos. Die Olympiazeitung beispielsweise verlor über das Spiel keine Zeile. Die Goldmedaille war fest eingeplant gewesen, auch deshalb war der frühe Abgang des Führers nach dem 2. Tor der Norweger in der 83. Minute eine Ohrfeige für den Fußball im nationalsozialistischen Deutschland.10 Es sollte das einzige Fußballspiel bleiben, das Hitler besuchte.11

Im Halbfinale schlug Italien Norwegen, den späteren Olympiadritten, 2:1 nach Verlängerung. Österreich gewann gegen Polen mit 3:1. Olympiasieger wurde am 15. August der amtierende Weltmeister Italien, der im Finale im Olympiastadion die Österreicher mit 2:1 nach Verlängerung besiegte.