Die Weltmeisterschaft 1934 in Italien

Steffen Bode

Die zweite Weltmeisterschaft im Fußball fand in Italien und damit erstmals auf dem europäischen Kontinent statt. Seit 1922 regierte in Italien der fußballbegeisterte faschistische Diktator Benito Mussolini, der mit der Weltmeisterschaft Italiens internationales Renommee aufpolieren wollte. Bereits 1923 hatte man in Italien den Profifußball eingeführt. 1929 wurde die erste Saison der nationalen Liga „Lega Calcio“ ausgespielt.1 Nach den Erfahrungen aus Uruguay, sollte die WM diesmal nicht mehr nur in einer Stadt ausgetragen werden. Für die Turniervorbereitungen wurden in Italien enorme Summen aufgewandt. In Turin, Florenz, Neapel, Rom und Mailand wurden neue Stadien gebaut, oder bestehende umfassend modernisiert und ausgebaut.2 Dabei wurde die faschistoide Ideologie der Nachfolge des römischen Weltreichs in den Stadien sichtbar.3

Ein Fernbleiben hätte sich Deutschland im „Bruderland“ Italien nicht erlauben können. Erstmals wurde für ein Turnier „gescoutet“. Sechs Sportlehrer reisten durch Deutschland, um geeignete Kandidaten für den Reichstrainer auszuwählen. In zwei „Sonderkursen“ – heute würde man Trainingslager sagen – in der Sporthochschule Duisburg-Wedau, wurden diese dann getestet.4 Otto Siffling war unter ihnen und wurde so kurz vor der WM als letzter Spieler ins Aufgebot berufen. Er glänzte bei der Testspielserie gegen Derby County.5 Die Deutsche Meisterschaft wurde nach der Gruppenphase für die Italienreise unterbrochen.

Diesmal mussten die 16 Mannschaften durch Qualifikation ermittelt werden. 32 Mannschaften hatten sich gemeldet. Der amtierende Weltmeister Uruguay verzichtete auf eine Teilnahme. Auch die britischen Mannschaften fehlten, da sie 1928 aus der FIFA ausgetreten waren.6 Das einzige Mal, dass ein Titelträger den Pokal kampflos verloren gab. Da für die Endrunde nur 16 Mannschaften vorgesehen waren, mussten erstmals Qualifikationsspiele ausgetragen werden. Die Gruppe 12 verdiente den Namen eigentlich gar nicht. Luxemburg war viel zu schwach um Frankreich und Deutschland Paroli zu bieten.7 Deutschland gewann gegen Luxemburg 9:1 und löste damit das Ticket zur WM neben Frankreich, die „nur“ 6:0 gegen Luxemburg gewannen.8

Vom 27. Mai bis zum 10. Juni 1934 ermittelten die Endrundenteilnehmer den Weltmeister. In der Vorrunde lagen die Deutschen gegen Belgien in Florenz zur Halbzeit mit 1:2 zurück, ehe Siffling den Ausgleich und Edmund Conen mit einem Hattrick den Weg zum letztlich ungefährdeten 5:2 ebneten. Nur 8.000 Fans füllten das 55.000 Zuschauer füllende Rund.9
Italien besiegte die USA 7:1, während das „Wunderteam“ aus Österreich, einer der Turnierfavoriten, gegen Frankreich durch ein 3:2 nach der Verlängerung die nächste Runde erreichte.

Im Viertelfinale gewannen die Deutschen am 31. Mai in Mailand vor 16.000 Zuschauern gegen Schweden mit 2:1. Obwohl von der italienischen Presse als äußerst schwach eingeschätzt, zog die deutsche Mannschaft ins Halbfinale ein.10 Die Österreicher gewannen gegen Ungarn 2:1. Die Tschechoslowakei besiegte die Schweiz mit 3:2. Ein Skandalspiel wurde das der Italiener gegen Spanien. Für viele ein vorweggenommenes Finale. Nachdem das erste Spiel auch nach der Verlängerung 1:1 ausgegangen war, wurde am darauf folgenden Tag ein Wiederholungsspiel angesetzt. Durch den Schiedsrichter benachteiligt und von den überhart agierenden Italienern personell dezimiert, Auswechslungen waren nicht gestattet, wurde das Spiel 1:0 verloren. Bezeichnend war, dass das Tor fiel, als sieben Spanier verletzt spielten.11 Für die Italiener wurden Kampfgeist und Härte zum bestimmenden Spielsystem.

Im Halbfinale traf die Mannschaft des Ausrichters im dritten Spiel in vier Tagen auf Österreich, das 1:0 besiegt wurde. Viele Österreicher sprachen in diesem Spiel von Schiebung. Der schwedische Schiedsrichter Eklind, der von Mussolini eine persönliche Einladung erhalten hatte, tat sich durch merkwürdigste Entscheidungen hervor.12
Deutschland musste sein Halbfinale gegen die Tschechoslowakei austragen. Die Mannschaft hatte im Mai 1934 England 2:1 geschlagen und war spätestens danach Turnierfavorit. Das Spiel wurde durch die Torhüter entschieden. Während Plánicka nahezu jede deutsche Chance vereitelte, machten zwei unglückliche Aktionen des deutschen Torhüters Kress, der danach nicht mehr berücksichtigt wurde, den Traum vom Finale zunichte. Man verlor 3:1.13 Vielleicht auch deshalb, weil eine Stütze der „Amateur“-Mannschaft von seinem Arbeitgeber, einem Lederwarenhersteller nach Frankfurt zurückbeordert wurde. Conen bemerkte dazu: „Für einen Gramlich in der Form seines Lebens gab es keinen Ersatz, aber vielleicht hätte man in Frankfurt einen anderen für den Einkauf von ein paar Kuhhäuten finden können.“14 Vor nur 14.000 Zuschauern gewann man am 7. Juni 1934 gegen Österreich das kleine Finale.15 Da beide Teams in ihren Farben weiß-schwarz angetreten waren, musste der Schiedsrichter das Spiel nach Zuschauerprotesten in der 30. Minute unterbrechen.16 Per Losentscheid wurde entschieden, dass die Österreicher die himmelblauen Trikots des AC Neapel anziehen mussten.17 Mit 3:2 wurde das „Wunder von Neapel“ Wirklichkeit.

Erstmals wurden die Radiorechte der WM verkauft. 15 Nationen konnten die Spiele am Radio verfolgen.18 16 Radiostationen aus 10 Ländern und 270 Vertreter von Presse-Agenturen oder Zeitungen waren akkreditiert.19 Trotz des geringen Interesses in Italien selbst mobilisierte die WM die ausländischen Massen. Knapp 7.000 Niederländer, 10.000 Schweizer und ebenso viele Österreicher besuchten die Spiele ihres Teams.20 Das Turnier war ein Großereignis geworden.

  • 1. Schulze-Marmeling, Dietrich/Dahlkamp, Hubert: Die Geschichte der Fußball Weltmeisterschaft 1930-2006. Göttingen 2006, S. 45.
  • 2. Grüne, Hardy: Fußballweltmeisterschaft 1934 Italien. Kassel 2002, S. 44 ff.
  • 3. Grüne, Hardy: Fussball WM Enzyklopädie 1930 – 2010. Kassel 2006, S. 55.
  • 4. Grüne, Hardy: 100 Jahre Deutsche Meisterschaft. Göttingen 2003, S. 204.
  • 5. Grüne: Fußballweltmeisterschaft, S. 117.
  • 6. Grüne: Enzyklopädie, S. 51.
  • 7. ebd., S. 54.
  • 8. ausführlicher: Grüne, Hardy: Fußballweltmeisterschaft, S. 36 ff.
  • 9. ebd., S. 57.
  • 10. Fischer, Gerhard/Lindner, Ulrich: Stürmen für Hitler. 2. Auflage, Göttingen 2002, S. 94.
  • 11. Schulze-Marmeling/Dahlkamp, S. 51.
  • 12. ebd., S. 53.
  • 13. Fischer/Lindner, S. 94.
  • 14. Conen, Edmund: Edmund Conen erzählt. Stuttgart 1950, S. 18.
  • 15. Fischer/Lindner, S. 95.
  • 16. Schulze-Marmeling/Dahlkamp, S. 54.; Grüne: Fußballweltmeisterschaft, S. 76 spricht von einer halbstündigen Verspätung beim Anpfiff.
  • 17. Grüne: Enzyklopädie, S. 62.
  • 18. Schulze-Marmeling/Dahlkamp, S. 57.
  • 19. Grüne: Enzyklopädie, S. 51.
  • 20. Schulze-Marmeling/Dahlkamp, S. 58.